[Film] Deadpool (2016 US/CA)

Fuck! Wer hätte gedacht, dass ich dem Babyface Ryan Reynolds mal 9,5 Punkte in die Fresse drücke, weil er einen verdammt scharfsinnigen Humor beweist? Und dass allein die Openingcredits von einem Film so verdammt komisch sein und hooken könnten?!

Deadpool ist das, was Titanic für die Liebenden ist, Whams Last Christmas für die Weihnachtszeit und wir könnten das jetzt ewig so weiter führen, daher kommt frühzeitig der Cut. Superheldenfilme haben derzeit Hochkonjunktur und verfolgen jeden Kinogänger ohne Gnade. Marvel hier, DC da, blablabla. Wie gut, dass Deadpool keiner dieser Superheldenfilme ist. Denn Deadpool ist kein Held. Super vielleicht… aber lasst ihn das nicht hören, sonst geilt er sich wieder daran auf… ein Held jedoch nicht. Genau genommen ist er mehr so etwas wie ein Unfall. Eine Massenkarambolage, die mit extrem viel Fingerspitzengefühl in die Wege geleitet wurde und sich im blutroten R-Rated-Gewand präsentiert. Es ist eine wilde Mischung aus Komödie, Liebes- und Actionfilm und natürlich mit Superkräften garniert. Um noch genauer zu werden, wird hier alles nur erdenkliche verarscht. Sei es das Superheldengehabe, Hollywood und seine Actionfilme, brandaktuelle Themen wie Sexismus und Co. Das alles wird auf die Klinge genommen und zu einem genüsslichen Kebabspieß verarbeitet. Mit viel roter (und weißer *hust*) Soße überdeckt und auf die Leinwand geklatscht. Wie pubertär! Ohja. Und wie.

Tim Miller macht aus dem Merc with a Mouth genau das was es impliziert. Gag um Gag jagt um die Ecke, die exzellent erwählte Musik bringt schon die Mundwinkel zum Zucken und das ständige Durchbrechen der Vierten Wand packt an den (imaginären) Eiern und wird sogar dazu verwendet, die einfache Geschichte voranzutreiben. Wortwörtlich. Es wird wie wild persifliert und geballert und gevögelt, dass es nur so kracht und dennoch schafft es dieser rotzfreche Film, verschiedene Knöpfe zu betätigen und sich je nach Bedarf als einen harten Actionfilm oder eine waschechte Liebesromanze auszugeben. Ob durch die Geschichte oder die inszenatorischen Mittel, durch die feinen Dialoge oder den gewitzten Einsatz der Musik. Überall steckt so viel Detailversessenheit und Leidenschaft drin, dass man diesen chaotischen Film irgendwo zumindest ein Stück weit mögen muss.

Obwohl das Budget von rund 58 Mio US-Dollar für einen solchen Film recht schmal ausfiel und viele visuelle Effekte zumindest etwas preisgünstiger aussehen als die, die in den großen Blockbusterbrüdern Verwendung finden, wird das alles durch die ganze Art des Films ausgeglichen. Die meiste Zeit über war ich zu amüsiert darüber, als dass ich hätte Anstoß an diesen Dingen nehmen können. Allein die Slow-Motion Einlagen rocken (denen man unter Umständen einen Grad an Monotonie vorwerfen könnte – wenn man denn böse genug wäre) und der Maßstab an gezeigter Gewalt ist nicht ganz ohne. Hier wird geschlitzt und geschossen, geplättet und enthauptet bis die Lunte brennt. Dass man das mal in einer Comicverfilmung aus dem Hause Marvel sehen würde, da hatten wohl die wenigsten Hoffnung. Und dann: BÄM – zählen Patronenhülsen einen Countdown runter!
Deadpool ist graphisch und explizit. Gewaltbereit. Eben kein Superheld. Allerdings wird alles schon wieder so in die Lächerlichkeit gezogen und mit humorvollen Gags aufgepeppt, dass sich dem ganzen narrative Nützlichkeit zusprechen lässt. Noch dazu führt der Film selbst nur zu gerne dieses Thema an und erhält durch das permanente Spiel mit der Vierten Wand, direkt als auch indirekt wenn es zum Beispiel um den jugendlichen Sidekick Negasonic Teenage Warhead (Brianna Hildebrand) geht, aufklärerischen Charakter. Ansonsten muss das ganze eben so gesehen werden, als was es gesehen werden will: Als eine mordsmäßige Sause, die um das Spektakel willen auf den Putz drischt.

Schauspielerisch ist es natürlich leicht gesagt, dass der Actionklamauk von Ryan Reynolds getragen wird. Allein das ausufernde Marketing, in dem er in seinem blutroten Kostüm alles und jeden aufs Korn nahm, stellte den Film bereits im Vorfeld als ziemlich einzigartiges Werk dar. Und egal wie oft man schon einen Clip nach dem anderen über sich ergehen lassen musste, oder wie oft die romantischen Valentinstagsposter um Aufmerksamkeit buhlten, stets bewies er das Augenklimpern, dass nun im finalen Film auf die Spitze getrieben wird. Es ist ein vollkommen ironisches und nahezu satirisches Werk, dass es auf Gewalt und Action, und wie bereits erwähnt – Hollywood im Allgemeinen abgesehen hat. Und das tut ja sowas von gut. Es ist die Rolle, für die Reynolds geboren scheint. Der selbstironische Typ von nebenan, der sich auch einen Witz auf eigene Kosten gönnt und sich nicht zu schade ist, auch am Boden noch auf sich selbst einzutreten. Versaut und dreckig, aber auch köstlich amüsant verkörpert er den ehemaligen Söldner mit Bravour und drückt der roten Maske seinen Stempel auf. Wenn er in seine inneren Monologe verfällt, erinnert er sogar an den mordlustigen Serienkiller aus der gleichnamigen Fernsehserie Dexter. Nicht minder erheiternd sind die beiden Sidekicks Negasonic Teenage Warhead (sic!) und Colossus (Stefan Kapicic) aus Professor Xaviers Schule für junge Begabte, die nicht nur stets die Brücke zu den X-Men-Filmen schlagen, sondern sich auch von ihrer besten Seite zeigen. Zwar gelingt es ihnen nicht, aus der ihnen zugewiesenen Rolle des Sidekicks auszubrechen, dennoch gönnt ihnen das Drehbuch genug Freiheiten und markante Augenblicke, um auch diese Figuren gebührend in die Action einzubinden. Auch für weitere Frauenpower ist gesorgt, denn neben Morena Baccarin, die hinreißend das Loveinterest spielt ohne dabei als zu weinerlich in die Ecke gedrängt zu werden, darf außerdem die ehemalige MMA-Kämpferin Gina Carano die Fäuste schwingen. Ich mochte ihre schweigsame Präsenz bereits in Fast & Furious 6 und finde es klasse, dass sie nun auch in einer dieser zahlreichen Comicverfilmungen Fuß fassen darf. Für den beinharten Deadpool genau das richtige. Der einzige, der etwas hinterherhinkt, ist Ed Skrein. Leider spielt er nicht ganz so markant wie erhofft und verkörpert einen ziemlich gewöhnlichen und austauschbaren Gegenspieler. Doch auch das fällt hier gar nicht so schwer ins Gewicht, denn die unzähligen witzigen Einfälle des Films machen so ziemlich das meiste wieder wett und sorgen für einen brachialen Showdown, der wiederum einen kleinen Seitenhieb auf die Avengers oder Captain America: The Winter Soldier austeilt.

Deadpool ist eine rohe Gewaltorgie, in der jedoch so viel Liebe zum Detail und Leidenschaft steckt, dass einem diese Sause schon fast zu kurz vorkommt. Ich hätte nach dem köstlichen Abspann am liebsten gleich nochmal dem Söldner mit dem losen Mundwerk mein Gehör geschenkt und mich von diesem Spektakel bestens unterhalten lassen können.
So kann es gehen, wenn eine Comicverfilmung in den Händen der richtigen Leute landet, die einfach rotzfrech „ihr Ding durchziehen“. Ein eigensinniges und aberwitziges Highlight in der immer praller werdenden Welt der Comicverfilmungen.

9/10 Punkte

Deadpool---PosterDeadpool
Jahr: 2016 US/CA
Laufzeit: 108 Minuten
Regie: Tim Miller | Drehbuch: Rhett Reese, Paul Wernick
Kamera: Ken Seng
Musik: Junkie XL (Tom Holkenborg)
Cast:
Ryan Reynolds, Karan Soni, Ed Skrein, Morena Baccarin, Gina Carano, Stefan Kapicic, Brianna Hildebrand, Style Dayne, Kyle Cassie, Taylor Hickson, Randal Reeder, T.J. Miller, Isaac C. Singleton Jr., Michael Benyaer

Bilder [© 2015 – Twentieth Century Fox]

14 Kommentare zu „[Film] Deadpool (2016 US/CA)“

    1. Hey! Nur weil meine Kritik (auch 9 von 10) viel kürzer ausgefallen ist, ist sie nicht weniger positiv! :P ;)

      Aber es stimmt schon, hier wird der Enthusiasmus richtig greifbar – tolle Kritik, der ich vorbehaltlos zustimme! :)

      Gefällt 1 Person

      1. Huh, sorry! Ich vermeide es normalerweise, mir aus Spoilergründen Reviews vor der Sichtung durchzulesen. Daher schlüpfen leider viele durchs Netz. Werde ich aber gleich nachholen!

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    1. „Ich hatte die Nacht einen Liam Neeson-Traum. Ich habe seine Tochter entführt und ihm hätte das gar nicht gefallen!“
      Eins von vielen Highlights. Die Endcredits aber auch. Das verdammte Einhorn! :D

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  1. Wow, da greifst du ja ziemlich hoch. Ich hatte auch meinen Spaß mit dem Film, aber zuviele Stellen waren für mich eher dafür gemacht um dem 16-jährige-Jungs-Humor zu gefallen. Sprich. Etwas zu flach.
    Und die Geschichte war auch relativ lasch und inskonsistent erzählt. Aber ich kann dir nur zustimmen – was die Figur an sich betrifft, haben die Macher endlich mal den Mut bewiesen eine Comicfigur genauso darzustellen wie sie in den Comics ist und nicht solchen Mist zu verzapfen wie bei X-Men Origins Wolverine.

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  2. Echt ein sehenswerter Film. Nach dem Trailer habe ich zwar mit einer lustigen Comic-Verfilmung gerechnet, aber dass er dieses Niveau wirklich durchhält ;) Bei uns kam er mit 8 von 10 Punkten davon, aber das reicht für die Heim-Videothek.
    Besonders cool waren auch der Anfang und vor allem das Ende… wobei letzteres nicht mehr alle mitbekommen haben. Die Leute sind reihenweise rausgegangen als die Schrift los ging :D

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