Nichts wird einen auf dieses Drama vorbereiten können. Keine Geschichten über Zainichi (koreanische Minderheiten in Japan), und genauso wenig die Geschichten von Nordkoreanern, die aus ihrem Land flüchten und von den Gräueln des Regimes oder ihrem Alltag erzählen. In Our Homeland von Yang Yong-hi werden die kleinen Dinge so ausdrucksstark präsentiert, dass es vergleichbar mit einem Schlag in die Magengrube wird. Denn wenn ein Reisekoffer im Schaufenster zum Symbol der Freiheit wird, wird sowohl dem Protagonisten, als auch dem Zuschauer erst einmal bewusst, dass manch einer niemals in den Genuss einer solchen Freiheit gelangen wird.
Ursprünglich aus dem Dokumentarbereich stammend (Dear Pyeongyang), präsentiert Yang Yong-hi ihr Spielfilmdebüt, das es nicht nur in die 62. Ausgabe der Berlinale schaffte, sondern auch seinen Weg auf die Nominiertenliste des besten fremdsprachigen Films für die Oscars fand. Dabei erzählt sie stellvertretend – wie bereits in ihren vorangegangenen Filmen – über ihre Familie, die zwischen Nordkoreanischer und Japanischer Ideologie und Lebensweise gespalten ist. Our Homeland ist dabei ein Drama der leisen Töne – zu beobachten ist die angespannte Interaktion von Seong-ho mit seiner in Japan residierenden Familie, der nach 25 Jahren Leben in Nordkorea für einen kurzen Aufenthalt nach Japan zurückkehren darf, um sich einer gesundheitlichen Behandlung zu unterziehen.
Dass Yang ihre eigenen familiären Erfahrungen einbringt, die in diesem Fall auf dem Repatriarchisierungsprogramm* Koreas beruht, lässt sich an der Art der Inszenierung durchaus ablesen. Es wirkt authentisch, wie angespannt sich Seong-ho (herausragend: Arata Iura) durch den ganzen Film hinweg bewegt. Wie er jegliche Unterhaltungen über sein Leben in Nordkorea meidet und keine großen Bindungen aufbauen kann, oder vielmehr möchte – ist das Ganze doch zeitlich beschränkt, ehe er wieder zurück in die ‚Heimat‘ muss. Zurück in den Überwachungsstaat, bei dem bei etwaigen Fehlverhalten harte Strafen für ihn und seine Familie drohen. Noch dazu schaut Nordkorea, der große Bruder, ständig über seine Schulter: Selbst in Japan blicken die ideologischen Führer des Landes aus den aufgehängten Bildern in der Wohnung von oben auf die Familie herab. Wozu also an etwas binden? Auch an seine Schwester Rie (Sakura Ando), die versucht, ihn aus seinem Trott zu befreien, kommt er nicht heran. Zu verschlossen und gebrochen ist er durch seine gemachten Erfahrungen, und zu einem großen Teil fragt man sich, wie viel Mensch überhaupt noch in ihm stecken mag, wenn er im vertrauten Gespräch doch einmal kurz den Vorhang fallen lässt.
Diese Perspektive schreibt der Film groß: Yang nutzt die Kamera als Verstärker der inneren Aufgewühltheit und Destabilität der Figuren – insbesondere Seong-hos. So wechselt sie zwischen statischen Aufnahmen und verwackelten Einstellungen, um die starke Verunsicherung der Figuren bildlich darzustellen. Und das wird zunehmen intensiver, je weiter sich Seong-ho seiner kurzfristigen Freiheit öffnet. Steht er doch als Nordkoreaner mit befristeten Aufenthalt in Japan trotzdem unter permanenter Beobachtung durch das Regime – in diesem Fall durch den Genossen Yang (Yang Ik-june), welcher ihn als Aufseher begleitet. Und dabei schafft es der Film, mehr zu zeigen, als er tatsächlich zeigt. Er erzwingt die eigene Interpretation und stellt den Zuschauer vor die Frage, wie man sich das Leben in Nordkorea vorzustellen vermag. Je weiter die Figuren voranschreiten, desto schmerzlicher wird dies deutlich. Dass es ein unerträgliches Leben sein muss, das steht außer Frage, aber was es mit einen macht, das ist ebenso unerträglich nur mitansehen zu müssen.
Und das ist das effektive an Our Homeland: Er lässt einen genauso hilflos zurück, wie es der Großteil der Nordkoreanischen Bevölkerung ergehen muss, die ihr Leben auf nur noch einen Nenner herunterbrechen können: Überleben. Es ist ein effektives Drama der Subtilität, dass einen Diskurs erzwingt und die Aufmerksamkeit auf ein Thema lenkt, das im politischen Feld immer wieder untergeht: Den einzelnen Menschen.
*Hierbei handelt es sich um ein von Nordkorea gesponsortes Repatriation-Programm der Chōsen Sōren (The General Association of Korean Residents in Japan), welches den in Japan lebenden Koreanern ab 1959 die Rückführung in ein „blühendes und humanistisches Nordkorea“ ermöglichte. Insgesamt migrierten 93.340 Menschen zurück. Im Film wurde Seong-ho von seinem Vater, der der Nordkoreanischen Ideologie des Kommunismus verfallen ist, im Alter von 16 Jahren durch dieses Programm nach Nordkorea geschickt.
8,5/10
Our Homeland [Kazoku no Kuni; かぞくのくに]
Jahr: 2012 JP | Laufzeit: 100 Minuten
Regie & Drehbuch: Yang Yong-hi
Kamera: Yoshihisa Toda
Musik: Tarô Iwashiro
Cast:
Arata Iura, Sakura Ando, Yang Ik-June, Kotomi Kyono, Tatsushi Omori, Jun Murakami, Shogo, Taro Suwa, Yoshiko Miyazaki, Masane Tsukayama
Bilder [© Kadokawa Entertainment]
Und gleich mal eine Regisseurin für meine #52filmsbywomen Reihe gefunden. Aus dem asiatischen Raum kenne ich da ja eher weniger Damen der Zunft. Danke dafür. :)
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Sehr gern. Bin übrigens gerade über diese Liste gestolpert, vielleicht ist etwas spannendes für dich dabei: https://filmschoolrejects.com/movies-directed-by-women-2019/
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Danke für den Link. Neuer Input ist immer gut. :)
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