[Film] Adrift in Tokyo (2007 JP)

Japanuary #4

“Happiness creeps into you so quietly you don‘t notice… but misfortune arrives very abruptly.”

Stell dir vor, du wärst eine ambitionslose, arme Sau und lebst in deiner Süffbude vor dich hin. Während du über eine volle Zahnpastatube philosophierst, klopft ein Schuldentreiber an deine Tür und fordert einen unbezahlbaren Geldbetrag von dir. Du hast keine Verwandten und auch sonst niemanden, der dir aus der Patsche helfen kann. Da bietet dir der Typ plötzlich eine Million Yen an. Was du dafür tun musst? Mit ihm durch die Straßen Tokios spazieren. Für was entscheidest du dich?

Adrift in Tokyo ist eigentlich der perfekte Film für den Japanuary. Wer Fernweh nach Tokio hat, der muss sich bloß diesen schmalen Indiestreifen von Miki Satoshi ansehen und schon steckt man in den verwinkelsten Gassen der Millionenmetropole.

Slice of Life trifft auf Komödie, der schnöde, jedem bekannte Alltag, der unerwartet verrückt wird. So entschließt sich auch Fuyima
(Odagiri Joe, The World of Kanako – R: Nakashima Tetsuya, JP 2014), das unwiderstehliche Angebot von Fukuhara (Mr. „diese Frisur rockt“ Miura Tomokazu) anzunehmen und durch die Straßen Tokios zu wandern. Zunächst natürlich ohne eine Ahnung, was dahinter steckt.

An sich hätte ich den Film echt gerne gemocht. Er schenkt dem Zuschauer einen kulturellen Einblick in den japanischen Alltag, was natürlich immer in Verbindung mit den Stationen steht, die im Verlauf der Geschichte abgelaufen werden. Tonal ist das normal, manchmal wird es etwas schrullig, wenn alte Geschichten ausgepackt werden, die nach und nach die wahren Beweggründe Fukuharas aufdröseln. Doch ich tat mich unglaublich schwer mit dem abgedroschenen Humor, der hier und da losgelöst eingestreut wird. Nicht nur, dass eine kleine Nebenhandlung völlig irrelevant für den kompletten Film ist, sie zieht sich auch wie Kaugummi und nervt. Am Anfang denkt man noch, es gäbe einen größeren Nutzen dahinter, doch der verpufft und die Figuren nehmen der eigentlichen Geschichte viel zu viel Raum weg.

Der Humor ist sowieso etwas eigen: Manchmal sehr trocken, manchmal war es wiederum einfach nicht lustig und ich hatte nicht mal das Gefühl, aufgrund von kulturellen Unterschieden zwischen dem Film und mir als Zuschauer auf dem Schlauch zu stehen. Es hat einfach nicht gezündet. An anderen Stellen wiederum waren die Einfälle originell und so abstrus, dass man ähnlich verwundert wie Fuyima erst einen kleinen Moment braucht, um sich zu sammeln und die Situation zu erfassen, ehe man dann voll drauf einsteigen kann. Das sind die schönen Momente in Adrift in Tokyo, wenn plötzlich etwas völlig unerwartetes die Normalität aufbricht, dich aus dem Trott reißt und sich so die Laufrichtung ändert.

Ein bisschen schade ist, dass der Film dieses Konzept nicht bis zum Ende durchzieht. Wo er vorher noch ein Hybrid verschiedenster Genre war, wird er nun zu einem waschechten Familiendrama, das zwar von der vorherigen Tonalität zwischen Fuyima und Fukuhara nicht abweicht, aber das Gesamtkonzept des Films auf einen Nenner reduziert. Zwar mochte ich persönlich genau diesen schnulzigen Familienteil sehr gerne, aber er bricht eben auch mit der Narrative und nimmt dem erzählerischen Konstrukt seine saloppe Art, die er vorher noch so freischnäuzig bedient hat.

Everyone’s Darling Odagiri Joe spielt souverän, auch wenn hier von Drehbuchseiten Luft nach oben gewesen wäre. Es findet kaum eine Entwicklung statt, vielmehr bedient der Film eine Momentaufnahme. Was zwar auch ganz schön sein kann, im Angesicht des filmischen Konzepts aber unbefriedigend bleibt. Miura Tomokazu hätte ich sehr gerne etwas aktiver in seiner Rolle gesehen, so bleibt sein gespielter Charakter jedoch irgendwo in der Mitte zwischen schrullig verrückt und völlig normal. Mir hätte da eine Tendenz in eine der beiden Richtungen schon eher gefallen. Lichtblick ist Koizumi Kyōko (Sühne – R: Kurosawa Kiyoshi, JP 2012), die dann genau diese Tendenz aufgreift und völlig liebenswürdig erscheint. Ich amüsiere mich noch immer prächtig darüber, wie sie eigentlich ihr Haus verlassen will und doch ständig etwas vergisst und die beiden wartenden Herren so fast zur Weißglut treibt.

Adrift in Tokyo ist waschechtes Independent-Feeling mit Wackelkamera, einem offenen Genremix und einer an sich witzigen Geschichte der Normalität in Tokyo, die von äußeren Einflüssen ständig aufgebrochen wird. Leider erscheint vieles auf dem Papier doch amüsanter, als es letztlich auf dem Fernseher wirkt.

5,5/10 Punkte

[Film]-Adrift-in-Tokyo-(2007-JP)-PosterAdrift in Tokyo [Tenten; 転々]
Jahr: 2007 JP
Laufzeit: 101 Minuten
Regie + Drehbuch: Miki Satoshi (liter. Vorlage: Fujita Yoshinaga)
Kamera: Tanikawa Sohei
Musik: Sakaguchi Osamu
Cast:
Odagiri Joe, Miura Tomokazu, Koizumi Kyoko, Yoshitaka Yuriko, Fuse Eri, Iwamatsu Ryo, Matsushige Yutaka, Hirota Reona, Kishibe Ittoku

Bilder [© Third Window Films]

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