[Film] Unsere kleine Schwester (2015 JP)

Soso. Da schleiche ich seit geraumer Zeit um einen Film vom scheinbar äußerst populären japanischen Regisseur Hirokazu Kore-eda herum (Like Father, Like Son) und dann läuft doch glatt ein weiteres Werk von ihm im Programmkino meiner Wahl. Und schon bin ich hin und hergerissen…

15 Jahre haben die drei Schwestern Sachi (Haruka Ayase), Yoshino (Masami Nagasawa) und Chika Kouda (Kaho) ihren Vater nicht mehr gesehen, seit er sich mit einer neuen Frau aus ihrem Leben verdrückt hat. Die Mutter zerbrach daran und zog sich zurück, während die Schwestern seitdem gemeinsam ihren Weg durchs Leben beschreiten.  Als sich ihnen die Kunde zuträgt ihr Vater sei gestorben, begeben sie sich in die japanische Provinz, um der Beisetzung beizuwohnen. Nichtsahnend, dass sie eine 14-jährige Stiefschwester haben. Kurzerhand beschließen die drei, Suzu (Suzu Hirose) bei sich aufzunehmen. Im Haus ist schließlich genug Platz…

Wer auf eine komplexe und mit verschiedenen Höhepunkten ausgestattete Handlung hofft, der kann gleich wieder kehrtmachen. Denn Unsere kleine Schwester ist fast schon beiläufig erzählt und hält sich ohne etwaig konstruierte Drehbuchwendungen schlicht an das Alltagsleben einer japanischen Familie, die sich auf der Suche nach Stabilität befindet. Alles was Kore-eda einem dabei an die Hand gibt, sind vier Schwestern, die alle unterschiedliche Charaktereigenschaften aufweisen. Sachi als das (beinahe) mustergültige Oberhaupt der Patchworkfamilie, Yoshino diejenige, die mit Männern stets auf die Nase fällt und dementsprechend nicht Nein zu einem Gläslein Schnaps sagen kann, Chika das Nesthäkchen und dann die neue vierte im Bunde: Suzu, der ihre Herkunft schwer im Magen liegt.

Was dabei nun wie eine tragische Schmonzette klingt, entpuppt sich schnell als leichtfüßiges Drama. Keinesfalls zu schwer, sondern stets mit einem Lächeln auf den Lippen, schlängelt sich der Film über Themen wie Trennung, gesellschaftliche Wertvorstellungen, Traditionen und japanischem Ehrgefühl hinweg und verweist dabei auf Spuren die Menschen hinterlassen, selbst wenn sie nicht mehr am Leben sind. Beeinflussen können sie einen dennoch, sei es durch die lange Tradition, ihnen stets am heimischen Schrein zu gedenken oder durch andere Kleinigkeiten, wie zum Beispiel einfachste Speisen, die schon unlängst in der Kindheit verankert sind und welche einen an besondere Menschen erinnern. Dennoch muss das Leben weitergehen, der Blick kann nicht nur in die Vergangenheit gerichtet bleiben und das ist etwas, womit Unsere kleine Schwester so tänzelnd und gekonnt umgeht. Kore-eda verbindet das alte mit dem neuen, das vorhandene mit dem verloren gegangenen und konfrontiert auf diese Weise die drei Schwestern mit der außen stehenden Suzu im Bunde. Obwohl das, was die Koudas hier tun, keine leichtfertige Entscheidung ist, ziehen alle gemeinsam an einem Strang. Es gibt keine Konfrontationen oder Streit, es gibt keine (verletzenden) verbalen Ausflüchte. Sie leben friedlich unter einem Dach, leben alle ihre jeweiligen Leben. Und dennoch gibt es unausgesprochenes. Dinge, die verletzend waren oder noch sind, die bei all der Fürsorge nicht verschwinden. Egal ob durch innere oder äußere Einflüsse, irgendwann drängen diese Ansichten an die Oberfläche. Manches sitzt eben doch tiefer und braucht daher etwas Zeit, um den Weg nach oben zu finden.
Hier greift die langatmige Erzählung, die auf überspitzte Dramatik verzichtet. Statt kurzen knackigen Phasen fließt die Erzählung lebensnah vor sich hin, bleibt authentisch ohne zu langweilen. Dabei passt sich die unaufgeregte Bildsprache Mikiya Takimotos der Fabel an, präsentiert in langen statischen Einstellungen das beherrschte Geschehen und lässt gleichzeitig so leger wie nur möglich den Blick über die beschauliche Küstenstadt Kamakura schweifen. Was unter und gesagt für entsetzliches Fernweh sorgen kann. Sie gewährt einen Einblick in das Leben vier junger Frauen, die aus einer zerrütteten Familie das Beste gemacht haben. Und obwohl sie alle wesentlich unterschiedliche Eigenschaften haben, so sind sie doch alle eines: Schwestern. Schwestern, die das Leben so nehmen, wie es eben kommt.

Am Ende ist es jedoch nur das gefühlte Abziehbild einer Scheidungsfamilie, die mit der seltsam anmutenden Entscheidung, eine fremde Schwester bei sich aufzunehmen, was hier die Berechtigung für einen über zwei Stunden andauernden Film darstellt. Denn auch wenn Unsere kleine Schwester unglaublich schön und gefühlvoll in Szene gesetzt ist, so bleibt doch ein leicht zäher Beigeschmack über. Vielleicht mag das auch daran liegen, dass ich mich mit Filmen schwertue, die sich einer klaren Pointe verweigern und stattdessen nur so vor sich hintreiben. So stehe ich am Ende doch ein wenig unbeholfen da und frage mich, was mir diese zwei Stunden nun eigentlich näherbringen wollten – nebst dieser Momentaufnahme wohlgemerkt?

Den treibenden Soundtrack muss ich mir übrigens nochmal anhören. Schließlich entstammt dieser doch der Feder Yoko Kannos.

6,5/10 Punkte

Unsere-kleine-Schwester---PosterUnsere kleine Schwester [海街diary; Umimachi Diary]
Jahr: 2015 JP
Laufzeit: 128 Minuten
Regie & Drehbuch: Hirokazu Kore-eda (liter. Vorlage: Akimi Yoshida)
Kamera: Mikiya Takimoto
Musik: Yoko Kanno
Cast:
Haruka Ayase, Masami Nagasawa, Kaho, Suzu Hirose, Ryô Kase, Takafumi Ikeda, Kentarô Sakaguchi, Ohshirô Maeda, Jun Fubuki, Shin‘ichi Tsutsumi, Shinobu Ohtake

Bilder und Trailer [© Pandora Filmverleih]

6 Kommentare zu „[Film] Unsere kleine Schwester (2015 JP)“

  1. Die Sichtung von dem Film steht bei mir auch noch aus. Da ich ein ziemlicher Fan von Hirokazu Korêdas Filmen und dem Stil bin, vermute ich aber, dass er mir etwas besser gefällt bzw. punktemäßig etwas besser abschneidet.

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    1. Das kann durchaus sein. Schlecht ist er ja nicht, nur schade dass er manchen interessanten Dingen nur so wenig Platz einräumt. So hat vieles einen Anekdotencharakter, was man aber gerne näher beleuchtet gesehen hätte…

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  2. Hm, ich habe mir erst gestern – nach einer Kritik dieses Films und von „Kirschblüten und rote Bohnen“ in der ZEIT – den Film notiert als einen, den ich mir mal ansehen sollte. So richtig begeistert bist du nun ja nicht…

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    1. „Kirschblüten und rote Bohnen“ habe ich mir im Zuge dessen auch erst notiert. Ich war gesundheitlich sehr angeschlagen, vllt. war er mir auch deswegen zu anstrengend. Schön ist er aber trotzdem! Es kommt wahrscheinlich nur auf die Stimmung drauf an. Es ist ein Film, der nur so vor sich hinfließt. Muss man Typ für sein, um damit etwas anfangen zu können. Ich war es an dem Abend leider nicht ganz.

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